Staatssekretär Spahn und Ösi-Minister Kurz: Hier streiten zwei Konservative über den rechten Weg

Österreichs Außenminister SEBASTIAN KURZ (30) und CDU-Präsidiumsmitglied JENS SPAHN (36) geben ihr erstes gemeinsames Interview

Von: Von MIRIAM HOLLSTEIN, SEBASTIAN PFEFFER und NIELS STARNICK

Sie gelten beide als Kanzlerhoffnungen in ihren Parteien: In seinem Büro in Wien empfängt der österreichische Außenminister Sebastian Kurz (30) den deutschen Finanzstaatssekretär Jens Spahn (36). Das erste Mal sind sich beide vor einigen Jahren auf einer Party der Jungen Union begegnet. Damals waren sie zwei ehrgeizige, aber noch weitgehend unbekannte Politiker. Heute ist Kurz der jüngste Chefdiplomat Österreichs; Spahn eine der wichtigsten Stimmen im CDU-Präsidium.

BILD am SONNTAG: Herr Kurz, Herr Spahn, was bedeutet für Sie konservativ?

JENS SPAHN: Dass grundlegende Werte wie Familie und Verantwortung immer gelten. Es geht darum, gelassen die Zukunft zu gestalten, nicht darum, im Gestern zu leben.

SEBASTIAN KURZ: Diese klassischen Schubladen – links, rechts, konservativ, liberal – machen heute keinen Sinn mehr. Man kann in einer Frage konservativ sein und in der anderen liberal.

SPAHN: Stimmt, da ist was in Bewegung! Jeden Tag werden in Deutschland gegen ihren Willen junge Frauen von ihren Vätern verheiratet. Die Vollverschleierung ist ein Käfig aus Stoff. Beides lehne ich ab und muss mich dann als Erzkonservativer beschimpfen lassen. Früher war der Kampf für Frauenrechte noch links-liberal. Aber die Linke hat sich in ihrer politisch korrekten Multikulti-Ideologie verrannt.

„Mir ist egal, ob eine Position als rechts oder links gilt, wenn ich sie für richtig halte“

Wo hört konservativ auf, wo beginnt rechts?

SPAHN: Das demokratische Spektrum hört nicht rechts der Mitte auf. Aber in Deutschland wird unter rechts immer rechtsradikal verstanden. Wer Anschluss ans Nazi-Milieu sucht, steht im krassen Gegensatz zu uns Christdemokraten. Wir nehmen den Menschen, so wie er ist. Das tun weder Rechtsradikale noch Linksradikale, die setzen ihr idealisiertes Bild vom Menschen absolut.

Müssen konservative Parteien den rechten Rand bedienen?

KURZ: Ich glaube nicht, dass eine Partei jemand „bedienen“ sollte. Wer zu viel auf die Frage schielt, ob das rechts oder links ist oder wie er damit in den Umfragen ankommt, wird nicht glücklich und langfristig auch nicht erfolgreich werden. Mir ist egal, ob eine Position als rechts oder links gilt, wenn ich sie für richtig halte.

SPAHN: Unser gesellschaftlicher Auftrag als Volkspartei ist es auch, Menschen von rechts in die Mitte hinein zu integrieren. Viele wählen derzeit die Spalter, weil sie unzufrieden sind. Recht und Ordnung, der Kampf gegen Kriminalität und für unsere westliche Leitkultur, das erwarten viele. Die Stärke der Spalter in ganz Europa ist ein Weckruf!

Würde Helmut Kohl heute noch in die CDU eintreten?

SPAHN: Natürlich. Als Helmut Kohl Vorsitzender der CDU wurde, hat er die Partei modernisiert wie kein anderer und neue, spannende Köpfe an Bord geholt. Und so wie sich die Gesellschaft über die Jahre wandelt, wandelt sich auch eine Volkspartei mit ihr. Unsere Werte und Prinzipien aber bleiben. Deswegen werbe ich zum Beispiel für die Ehe für alle. Dass zwei Menschen in der Ehe verbindlich füreinander einstehen, ist ein Grundwert der Union. Solche Werte bieten Orientierung. Und die müssen wir wieder offensiver vertreten.

War Merkels Flüchtlingspolitik konservativ?

KURZ: Es ist nicht richtig, das nur an Angela Merkel festzumachen. Diese falsche Politik ist von ganz vielen Staats- und Regierungschef sowie der EU-Kommission mitgetragen worden. Sie war gut gemeint. Aber mir war immer klar: Wenn wir Menschen nach Mitteleuropa weiterwinken, machen sich immer mehr auf den Weg.

Muss die Mittelmeerroute geschlossen werden?

KURZ: Ja. Das gilt für jede denkbare Route.

SPAHN: Wir brauchen mit den nordafrikanischen Staaten dringend ähnliche Abkommen wie mit der Türkei. Wenn wir drei, vier Wochen lang konsequent die im Mittelmeer Geretteten dorthin zurückbringen, wo sie gestartet sind, ist das Schleppergeschäft vorbei – und damit auch das Sterben.

Sind Auffanglager in Libyen realistisch?

SPAHN: Sie sind in der Perspektive notwendig. Nur wenn wir die Kontrolle darüber haben, wer warum zu uns kommt, wird die Bevölkerung Europas dauerhaft akzeptieren, dass es Zuwanderung gibt.

KURZ: Wir brauchen Flüchtlingszentren außerhalb der EU, die gemeinsam mit dem UNCHR betrieben werden. Wo genau diese sind, ist nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass sie Schutz bieten und dass Menschen, die sich illegal auf den Weg nach Europa machen, dorthin zurückgebracht werden. Solche Einrichtungen könnten in Ländern wie Ägypten, in Georgien oder einem Land im Westbalkan liegen. Kurz ist freundlich und konzentriert, wirkt aber auch etwas reserviert. Der Außenminister hat einen vollgepackten Tag hinter sich, muss gleich nach dem Interview noch zu einem Empfang. Spahn, der an seinem freien Tag nach Wien gereist ist, wirkt entspannt. Beide Politiker sind sichtbar auf einer Wellenlänge und duzen sich, wobei Letzteres ohnehin in Österreich üblicher ist als in Deutschland.

Muss mehr abgeschoben werden?

SPAHN: Ja! Wir haben in der Vergangenheit zu oft Recht nicht durchgesetzt. So kam die falsche Botschaft in die Welt, dass jeder immer irgendwie hier bleibt und auch noch Geld bekommt. Aber es muss einen Unterschied machen, ob jemand vor Krieg geflohen oder ob er ein Armutsauswanderer ist.

KURZ: Man sollte die Menschen erst gar nicht hereinlassen. Es ist leichter, jemanden an der Außengrenze der EU zu stoppen und zurückzubringen, als wenn er in Wien oder Berlin bereits eine Wohnung bezogen hat.

Droht uns durch die Zuwanderung eine Islamisierung?

KURZ: In allen europäischen Ländern herrscht Religionsfreiheit. Das ist gut so. Niemand, der zu uns kommt, muss seine Wurzeln verleugnen. Aber der politische Islamismus hat bei uns keinen Platz. Diese Ideologie muss nicht nur mit militärischen Mitteln im Kampf gegen ISIS bekämpft werden. Es gibt auch mitten unter uns Radikale, die unsere Art zu leben ablehnen und uns bekämpfen wollen.

„Ich würde gern Kinder adoptieren“

SPAHN: Eine Islamisierung sehe ich nicht. Aber wir müssen Islamisten stoppen, die davon träumen, in Europa die Mehrheit zu erringen. Moscheen, in denen die Ablehnung unserer Gesellschaft gepredigt wird, müssen geschlossen werden. Es kann nicht sein, dass wir mit der katholischen Kirche oftmals kritischer umgehen als mit einem reaktionären Islam. Wie würden Sie heute den Begriff „Volk“ definieren? Ist das jeder, der in Österreich oder Deutschland lebt?

SPAHN: Als Staatssekretär leiste ich meinen Eid auf das Staatsvolk. Das sind alle Menschen mit deutschem Pass. Aber natürlich haben wir eine Verantwortung für alle, die im Land leben.

Sollten türkische Politiker in Österreich oder Deutschland auftreten dürfen?

KURZ: Ich lehne solche Auftritte klar ab. Türkische Innenpolitik und die damit verbundenen Spannungen dürfen nicht in Österreich ausgetragen werden. Wir haben der türkischen Regierung mitgeteilt, dass türkische Politiker in Österreich für bilaterale Gespräche willkommen sind, aber nicht für Wahlkampfauftritte.

SPAHN: Das hat der deutsche Außenminister jetzt auch endlich deutlich gemacht. Es ist schwer erträglich, wenn türkische Politiker bei uns die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nutzen, die sie daheim selbst mit Füßen ­treten.

Zum Fototermin geht es in den Alois-Mock-Saal, in dem prachtvolle Deckenfresken die Geschichte Österreichs nacherzählen. Die goldfarbenen Stühle schiebt Kurz gleich beiseite. Zu herrschaftlich findet sie der Politiker, der immer in gut sitzenden Anzügen und mit gegeltem Haar, aber lieber ohne Krawatte auftritt.

Herr Spahn, Sie treten regelmäßig mit Ihrem Lebensgefährten auf. Sind Heirat und Kinder ein Thema?

SPAHN: Ich würde gern Kinder adoptieren. Ich denke, wir wären ihnen gute, verantwortungsvolle Eltern. Aber leider ist meine eigene Partei da auf eine falsche Art konservativ.

Herr Kurz, Sie haben eine Freundin, halten sie aber aus der Öffentlichkeit heraus . . .

KURZ: Weil das mein Politikverständnis ist. Ich glaube nicht, dass es für meine politische Arbeit nötig ist, mein Privatleben zu inszenieren.

Haben Sie eigentlich mal gekifft zu Schulzeiten?

SPAHN: Ich bin an der niederländischen Grenze groß geworden . . .

KURZ: Ich nicht. Wir sind aber auch nicht so nah an den Niederlanden (lacht).

Ärgert Sie der Vorwurf, zu jung und zu ambitioniert zu sein?

KURZ: Als ich mit 24 Staatssekretär geworden bin, waren viele der Meinung: „Das ist zu jung für diese Funktion.“ Ich habe das durchaus nachvollziehen können. Und das Gute am jungen Alter ist, dass es mit jedem Tag besser wird.

SPAHN: Ich höre immer wieder: „Was hat der denn vorher im Leben geleistet?“ Aber ein politisches Amt ist doch keine Belohnung für eine Karriere außerhalb der Politik. Ich will was in meinen politischen Ämtern leisten. Außerdem bin ich jetzt bald seit 20 Jahren zu jung . . .

Wer von Ihnen wird zuerst Bundeskanzler?

SPAHN: Der Sebastian wird auf jeden Fall Bundeskanzler.

KURZ: Ich denke, wir leben beide im Hier und Jetzt, da gibt es genug zu tun.

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