Ukraine oder Russland Ausrichter 2017?: Nervenkrieg um „Eurovision Song Contest“

Warum plötzlich Moskau als Ersatzort für Kiew ins Gespräch kam

Von: Julian Röpcke

Das war ganz ganz knapp!

Man stelle sich vor: Die Ukraine gewinnt den Eurovision Song Contest 2016 mit einem russlandkritischen Song vor Russland, aber weil das Geld für die Austragung fehlt, findet der ESC 2017 in Moskau statt. Der GAU für die Ukraine, die sich nach Aussage von Präsident Petro Poroschenko in einem „echten Krieg“ mit Russland befindet.

BILD erfuhr aus ukrainischen Veranstalterkreisen: Es gab bereits „Gespräche“ über Moskau als Austragungsort. Mehr wolle man dazu nicht sagen.

Die ukrainische Parlamentsabgeordnete Hanna Hopko wurde gegenüber BILD dagegen deutlich: „Es gab ein echtes Risiko, dass das Event in ein anderes Land geht. Das wäre eine Katastrophe gewesen.“

► Der Hintergrund: Die Ukraine gewann den ESC 2016 in Stockholm mit Sängerin Jamala und ihrem Song „1944“ vor Australien auf Platz zwei und Russland auf Platz drei. Australien fällt als „außerordentliches Mitglied“ der Europäische Rundfunkunion „EBU“ als Austragungsort aus, wie die Veranstalter schon früh erklärten

► Somit hätte sich beim Ausfall der Ukraine Russland als Austragungsort 2017 qualifiziert!

Die Zitterpartie hielt lange an. Zwar setzte sich Kiew offiziell schon am 9. September als Austragungsort gegen die Städte Odessa und Dnipro durch, doch wie BILD erfuhr, waren die Finanzierung und das Zustandekommen des ESC 2017 in der Ukraine noch nicht in sicheren Tüchern. Bürgermeister Vitali Klitschko brachte gut neun Millionen Euro des Budgets der Kiewer Stadt-Verwaltung für die Austragung auf, doch auch das reichte nicht.

Denn: Der ESC ist für den Austräger eine teure Angelegenheit. Wie ein EBU-Sprecher zu BILD sagte, beliefen sich die Kosten in den vergangenen Jahren pro Veranstaltung auf 17 bis 25 Millionen Euro. 10 bis 14 Millionen davon müssten der ausstrahlende Sender des Veranstalterlandes und die Austragungsstadt bezahlen.

Mitte November gelang der Durchbruch im ukrainischen Parlament. Mit großer Mehrheit bewilligten die Abgeordneten das „Sondergesetz zur Weiterleitung von Staatsbudget für den Eurovision Song Contest“ – eine Garantie von 15 Millionen Euro für die Austragung. „Damit ist die Finanzierung gesichert“, sagte die stellvertretende Direktorin Viktoria Romanowa zu BILD. 

Zusätzlich zum Staatsbudget und Stadtbudget werde die europäische EBU, also auch Deutschland, Geld bereitstellen. Wie viel genau, wisse man noch nicht. Auch Geld aus Sponsoren-Einnahmen sowie Erlöse aus dem Verkauf von Tickets kommen zum Gesamtbudget dazu.

Austragungsort werde das „Internationale Ausstellungszentrum Kiew“, eine Halle, die 9000 Menschen fasse und damit vorangegangenen Austragungsorten in nichts nachstehe.

Der ESC 2017 sei eine „riesige Möglichkeit für den ukrainischen Markt, sich zu entwickeln“ und ein „Moment des Stolzes für die gesamte Ukraine“, sagte Romanowa. Das Land müsse jetzt beweisen, dass es ein solches Mega-Event austragen könne.

Doch ein winziger Zweifel bleibt. Laut Viktoria Romanowa ist das Geld noch nicht angewiesen worden. „Uns wurde aber versichert, dass es bald da ist.“

Der ESC 2017 wird auch politisch

Dass der Gesangswettbewerb in Kiew trotz aller Unterhaltung ein hochgradig politisches Event werden würde, erklärte Hanna Hopko, Vorsitzende des Komitees für Auswärtige Angelegenheiten, im Gespräch mit BILD. „Der ESC ist Teil der Anti-Besatzungskampagne der Krim.“

In nur einem Jahrhundert sei die ukrainische Halbinsel zum zweiten Mal von Russland besetzt und die tatarische Bevölkerung unterdrückt worden. „Zuerst durch das Stalin-Regime, heute durch das Putin-Regime“, sagte Hopko. Der Song „1944“ der gebürtigen Tatarin Jamal habe auf diese anhaltende Ungerechtigkeit hingewiesen. Der ESC am 13. Mai 2017 werde beweisen, dass die Ukraine ein „multikulturelles Land“ sei, in dem jeder Mensch willkommen ist.

Aber Hopko macht auch klar: „Der ESC ist an sich unpolitisch, es geht um die Musik. Aber er gibt uns eine Möglichkeit, auf die anhaltende russische Aggression gegen unser Land und die Verletzung der Menschenrechte auf der Krim, die nun auch durch die UN festgestellt wurde, hinzuweisen.“

Auch darum habe sie wie die meisten anderen Abgeordneten für das kostspielige Sondergesetz zur Finanzierung des ESC im nächsten Jahr gestimmt.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.